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Welche Rolle spielt das Unglück für das Glück? Ein Essay von Chiara Schanno, Ethik 11


In seinem Text „Lernt, unglücklich zu sein!“ erklärt Wilhelm Schmid, weshalb es so wichtig ist, auch unglücklich zu sein bzw. das Unglücklichsein auch zu akzeptieren. Er kommt zu dem Schluss, dass es an der Zeit sei „nicht mehr nur ein Unglück im Unglücklichsein zu sehen“ (Schmid, „Lernt, unglücklich zu sein!“, Zeile 7). Schmid ist der Meinung, dass die Menschheit ohne Unglück immer noch auf Bäumen säße (vgl. Schmid, „Lernt, unglücklich zu sein!“, Zeile 9/10) und uns erst das Unglück kreativ gemacht hätte. Er kritisiert gleichzeitig auch die Fixierung auf das Glücklichsein der heutigen Zeit und gibt an, dass die größten Errungenschaften nicht von den Menschen stammen, die schon alles hatten, zufrieden/glücklich sind. Er bezeichnet die Unglücklichen als „Geschenk an die Gesellschaft“, da sie aufgrund ihres Unglücks versuchen, die Welt bzw. Gesellschaft zu verbessern (Schmid, „Lernt, unglücklich zu sein!“, Zeile 19).

Nachdem man sich mit den Definitionen der drei Glückstypen von Schmid (Zufallsglück, Wohlfühlglück, Glück der Fülle) auseinandergesetzt hat, fällt auch auf, dass sowohl das Zufallsglück als auch das Glück der Fülle sich nicht nur auf die positiven Aspekte des Lebens beziehen. So führt Schmid an, dass der Ursprung des Zufallsglück in dem zufälligen Ergebnis einer Situation liegt und erst ab einem späteren Zeitpunkt das Zufallsglück nur noch positiv konnotiert war. Bei dem Glück der Fülle ist die Verbindung zwischen Glück und Unglück noch offensichtlicher, da das Glück der Fülle sowohl das Positive als auch das Negative umfasst. Somit ist es schon in der Definition enthalten, dass das Unglück hier eine wichtige Rolle spielt.

Meiner Meinung nach hat Schmid mit seinen Annahmen bezüglich der Rolle des Unglücks Recht. Ohne das Unglücklichsein würde es einige, heutzutage selbstverständliche, Dinge nicht geben. Die (theoretische) Gleichheit der Menschen zum Beispiel, ergab sich durch den Einsatz für Gleichberechtigung der Benachteiligten und Unglücklichen, beispielsweise Martin Luther King und Rosa Parks in den USA oder Nelson Mandela in Südafrika. Wären alle Menschen zufrieden mit der damals herrschenden Situation gewesen, hätte es keinen Grund zur Veränderung gegeben. Aber mit der herrschende Ungerechtigkeit und schlechten Behandlung durch die Weißen war die nicht-weiße Bevölkerung unglücklich und wollte sie nicht länger dulden, weshalb sie sich gegen die Gesetze stellten, bis sie ihre Veränderung erreicht hatten. Natürlich kann die Unzufriedenheit auch zu Veränderungen führen, welche vor allem im Nachhinein betrachtet, zu negativen Veränderungen führen, wie zum Beispiel die NS-Diktatur.
Zudem stellt sich einem glücklichen/zufriedenen Menschen die Frage, warum er eine Veränderung herbeiführen wollen würde, wenn diese seine Situation verschlechtern könnte. Er würde somit seine Zufriedenheit aufs Spiel setzen, da er das Ergebnis der Veränderung nicht vorhersehen kann.
Ich persönlich frage mich auch, ob man überhaupt in der Lage ist zu erkennen, wann man glücklich ist, wenn man noch nie unglücklich war. Nehmen wir einmal an, es gäbe eine perfekte Gesellschaft, in der niemand unglücklich ist. Könnte man überhaupt wissen, wie sich glücklich sein anfühlt? Die Redewendung (an welcher in vielen Fällen etwas dran ist) „Man weiß erst was man hatte, wenn man es verloren hat“ würde hier eine Antwort liefern, und zwar dass Glücklichsein nicht ohne Unglücklichsein funktioniert. Aber ist es wirklich so einfach?
Nein, denn was für den einen Glück bedeutet, kann genau so gut Unzufriedenheit in anderen auslösen. Diesen Aspekt behandelt Schmid nicht in seinen Texten, obwohl es ein wichtiger Faktor ist.  Er spricht zwar immer davon, dass Unglück kreativ mache und Veränderungen herbeiführe, aber kann es nicht auch heißen, dass die von Unglücklichen herbeigeführte Veränderung die Glücklichen ins Unglück stürzt? Somit würde es nicht dem Glück aller betroffenen Personen dienen und wiederum eine von den jetzt unzufriedenen Menschen Veränderung hervorrufen würde. Das Ganze könnte somit in einen Kreislauf enden, in dem niemals alle glücklich sind.

Somit kann man zu dem Schluss kommen, dass Schmid mit seiner Ansicht zur Rolle des Unglücks für das Glück Recht hat und sich mit vielen Aspekten für seine Meinung auseinander gesetzt hat, aber gleichzeitig seine Ansicht auch weitere Fragen aufwirft und lückenhaft ist.

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